Zauber der Tapeten

„Wandbekleidung - Tapeten als Bildträger“, 2004

Wandbekleidung
„Es gibt kein Vergangenes, das man zurücksehnen dürfte, es gibt nur ein ewig Neues, das sich aus den erweiterten Elementen des Vergangenen gestaltet, und die echte Sehnsucht muß stets produktiver sein, ein neues, besseres Erschaffen.“

J. W. Goethe


15 Tapetenobjekte, Tapete, Garn und Folie
Neuen Museum Weimar, 2004


Ausgangspunkt für die Diplomarbeit „Wandbekleidung – Tapeten als Bildträger“ waren die von mir im Januar 2003 in einem kleinen Laden in Annaberg-Buchholz/Erzgebirge entdeckten Tapeten. Wie in vielen meiner künstlerischen Arbeiten nimmt das Material und in der Folge die Untersuchung von Materialien eine wichtige Stellung ein.

WandbekleidungWandbekleidung In der künstlerischen Arbeit „Wandbekleidung - Tapeten als Bildträger“ benutzte ich diese „wertlosen“ Bildträger „Tapeten“, die teilweise älter waren als ich, wie ein entschwundenes Dokument aus der Erinnerung, um es in unsere Zeit zu überführen und vor dem endgültigen Dahinschwinden zu bewahren. Diese Tapeten hatten etwas Beeindruckendes, Reizvolles, Dominantes und Herausforderndes in sich verborgen, das mich tief berührte. Poppige, knallige bunte Bilder bzw. Materialcollagen sollten entstehen als Hommage an die Tapete unter dem Einfluss von Pop und Op Art, die durch ihre Farbigkeit und Muster die Zeit prägte.

Dazu sollte jeder Materialcollage ein Objekt zugeordnet werden. In dieser künstlerischen Arbeit sollte eine Symbiose zwischen Materialcollagen, Objekten, Raum, Betrachter und WandbekleidungWandbekleidung Künstlerin entstehen. Mein Gedanke war, mir ein Kleid aus Tapete zu schneidern, um eins mit dem Werk zu werden. Ich suchte jetzt nicht mehr nur nach Tapeten, sondern auch nach Schnittmustern aus den 60er Jahren, 70er Jahren und 80er Jahren, um den Zeitgeist der Tapete des Kleides gerecht zu werden. Ich begann im Internet über Tapeten und Schnittmuster zu recherchieren, doch diese Suche blieb zum größten Teil erfolglos. Also musste ich mir etwas anderes einfallen lassen. Ich begann Freunde, Bekannte, Kommilitonen... nach Tapeten und Schnittmustern zu fragen. Des Weiteren entwarf ich Flyer – „Suche für ein künstlerisches Projekt ...“, um auf meine Suche aufmerksam zu machen. So kam es nun dazu, dass sich alte DDR-Tapeten und Schneiderzeitschriften in meinen Besitz befanden. Auf Grund dieser Aktion hat sich meine Tapetensammlung auf über 50 Stück erweitert. Ich bekam viele Zeitschriften, Bücher und Hefte. WandbekleidungZeitschriften, wie die pramo (praktische Mode), handarbeit, modische maschen, Essen nach Maß, Frisur und Kosmetik, Taschen gestrickt, gehäkelt und geknüpft, Kultur im Heim, guter Rat, Wohnen, Strickmuster, Farbe und Raum... Inmitten der vielen Fundgegenstände begann ich die Arbeit am Tapetenkleid, das ich zur Diplompräsentation tragen wollte. WandbekleidungStaunend und fasziniert blätterte ich die erhaltenen Zeitschriften „pramo“ durch und suchte mir ein Modell heraus, das ich mit Tapete statt Stoff umsetzen konnte. Als das Kleid fertig war und in voller Blüte mit festem Halt vor mir stand, wusste ich: „Das ist es!“ „Weniger ist oftmals mehr“ - so verwarf ich letztendlich meine oben beschriebene Ausgangsidee, Materialcollagen etc. zu gestalten. Aus einem Tapetenkleid, das ich zur Diplompräsentation tragen wollte, wurden 16 Tapetenobjekte der Kollektion „Wandbekleidung“.

Betrachtet man in der zeitgenössischen Kunst verschiedene künstlerischeWandbekleidung WandbekleidungPositionen, so wird einem bewusst, wie Mode die Kunst und umgekehrt, die Kunst die Mode beeinflusst hat. In gleicher Weise beruft sich die Kunst, als auch die Mode auf das Repertoire der Vergangenheit, nur mit dem Unterschied, dass Mode für den Tag und Kunst für die Ewigkeit gemacht wird. Viele Künstler/innen näherten sich auf unterschiedliche Weise dieser Thematik „Mode“ an. Oskar Schlemmers skulptural wirkende Kostüme aus den 20er Jahren haben keine bekleidungstechnische, sondern eine rein künstlerische Funktion. „Wandbekleidung – Tapeten als Bildträger“ steht für die Rückbesinnung von vergessenen, bereits teilweise verlorengegangenen und scheinbar wertlosen Dingen, die prägend für die Alltagskultur waren.

Aus dem Vergangenen schöpfend, hinaustragend in unsere Zeit, wollte ich bewusst den Rezipienten die jahrelang trostlos vor sich hin vegetierenden, wenig beachteten Fundgegenstände nicht vorenthalten und als etwas Neues, „Reizvolleres“ präsentieren. In meiner künstlerischen Arbeit „Wandbekleidung – Tapeten als Bildträger“ habe ich die Möglichkeiten ausgeschöpft, die mir dieses Thema „Kunst und Mode“ bietet, in Zusammenhang mit meinen Ausgangsmaterialien. Die Ausgangsmaterialien waren Wandbekleidungeinerseits die FundstückeWandbekleidung „Tapeten“, die sich aus der Stoffherstellung entwickelt haben und andererseits die in einer Vielzahl gesammelten Schneiderzeitschriften „pramo“. Da Kleidung ein Grundbedürfnis der Menschen ist und Textilien/Stoffe als Synonym für Kleidung stehen, hatte ich ihnen in meiner künstlerischen Arbeit entsagt und durch eine saubere Hülle ersetzt, die durch ihren „Haut“-ähnlichen Charakter etwas Deckendes und Schützendes vermittelt, ebenso wie die Textilien/die Kleidung uns das Gefühl von Sicherheit, Schutz, Wärme und Geborgenheit vermitteln.

In der Auseinandersetzung mit dem Material „Tapete“ darf ein Rückblick bis hin zum Tätowieren, Bemalen und der Narbenbildung nicht unterbleiben.Wandbekleidung Indem der Mensch schmückt und verziert, hebt er mit bewusstem Tun den Gegenstand hervor. Die menschlichen Urbedürfnisse des Schmückens, des Maskierens und des Bekleidens spielen in meiner Arbeit eine wichtige Rolle. Hierbei benutzte ich die Tapete in ihrem ursprünglichen Zustand, ohne direkt in die bedruckte oder geprägte Oberfläche eingegriffen zu haben. Indem ich die Tapete aus ihrem Kontext der Zweidimensionalität entrissen hatte, schaffte ich ihr einen Raum, in dem sie sich entfalten konnte. Zur Herstellung eines Tapetenobjektes, Wandbekleidungvom Entwurf bis zum fertigen Objekt, war eine Vielzahl von Arbeitsschritten notwendig. Auf der einen Seite stand hierbei die werkliche Auseinandersetzung, wie das Übertragen des SchnittmustersWandbekleidung auf die Tapete oder das Zuschneiden. Andererseits standen künstlerische Überlegungen, wie die Auseinandersetzung mit dem Material, skulpturale Wirkung im Raum... Der systematischen Zerstörung der mühevoll hergestellten Tapete folgte die Zusammenführung der einzelnen Tapetenschnittteile, wodurch ein körperliches Gebilde entstand. Die Objekte umformen die körperlose Leere, ohne seelenlos zu wirken. Diese Tapetenobjekte heben die vorhandene Raumstruktur auf, indem sie die Begehbarkeit des Raumes bestimmen. Auf Grund ihres Daseins und ihrer Ornamentik ändern sie die Sicht des Betrachters innerhalb des „White Cube“.

Ich traf eine subjektive Auswahl aus einer Vielzahl von Tapeten und Schnittmustern, um dem Betrachter einen Anreiz zu geben, mich in meine Welt der noch vorhandenen Tapeten zu begleiten. Interessant in der Auseinandersetzung erschien mir der Aspekt, dass einWandbekleidung Ornament nie für sich allein, sondern immer im Zusammenhang mit einem Gegenstand steht! Auffällig war in meiner Tapetensammlung, dass vorwiegend florale Motive das Design der Tapeten bestimmten. Ausgehend von den Abbildungen in den gesammelten ZeitschriftenWandbekleidung ordnete ich bewusst meine vorhandenen Tapeten zu. Die Ähnlichkeit der Designs der Stoffe und Tapeten erleichterte meine Auswahl.

Nach längerer Auseinandersetzung mit dieser Thematik suchte ich für mich eine Erklärung für den Einsatz der Tapete als Bildträger. So stieß ich auf den Ursprung und die Geschichte der Wörter „Wand“ und „Gewand“. „In allen germanischen Sprachen erinnert das Wort „Wand“ (mit „Gewand“ von gleicher Wurzel und gleicher Grundbedeutung) direkt an den alten Ursprung und den Typus des sichtbaren Raumabschlusses.“ ¹ Rückblickend auf die im Februar 2004 begonnene künstlerische Arbeit „Wandbekleidung - Tapeten als Bildträger“ kann ich sagen, dass es eine sehr bedeutsame und befruchtende Zeit war, die positiv meine künstlerische Arbeitsweise prägte. Der intensive Sammelprozess, die Recherche über Tapeten (Bibliotheksbesuche, Internetrecherche), die zahlreichen Gespräche, der Besuch im Deutschen Tapetenmuseum in Kassel und das Recherchieren im Horst Michel Archiv in WeimarWandbekleidung war ein wichtiger Bestandteil des Arbeitsprozesses.

Wandbekleidung In der künstlerischen Auseinandersetzung sollte ein typisch weibliches Klischee, wie das Nähen, aufgegriffen werden, um zu sehen, in welchem Kontext Material und Aussage stehen. Dies wurde in einer Serie experimentell vollzogen, thematisiert und erforscht. Nicht mehr nur als stumme Zeitzeugnisse an der Wand dienten die Tapeten, sondern als in Erscheinung getretene Gebilde erzählten sie. Indem man jahrelang unachtsam mit Tapeten umgegangen ist und sie als Bilddokument übersehen, von der Wand heruntergerissen oder zumindest über klebt hatte, ist ein wesentlicher Teil zeitloser Schönheit pietätlos verloren gegangen. Durch die Zweckentfremdung wollte ich der Tapete eine neue Rolle im täglichen Leben zuweisen und ihr damit eine neue Wertigkeit geben.

¹ Gottfried Semper - Über die formelle Gesetzmäßigkeit des Schmucks und dessen Bedeutung als Kunstsymbol 1856
1987 für diese Ausgabe by Alexander Verlag GmbH, Berlin
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